SPANNUNGSFELDER

Selten habe ich ein Buch mit so vielen Zitaten, Hinweisen und Querverweisen in der Hand gehabt, aber je länger ich darin las, desto mehr wurde mir klar, wie wichtig diese Zusammenstellung ist. Markus Till geht es ja gerade um die Begegnung und Auseinandersetzung mit Theologen, ihren Vorträgen, Büchern und Internet-Portalen – Menschen, die früher im evangelikalen Bereich beheimatet waren, es heute aber nicht mehr sind. Weshalb? Was ist da passiert? Und wo genau stehen sie jetzt? Der Autor geht diesen Fragen nach. Dabei bezieht er sich selbst ein, seine persönliche Geschichte und auch Irritationen während dieser „Zeit des Umbruchs“. Er geht dabei fair und rücksichtsvoll vor. Oft taucht bei ihm der Satz auf: „So habe ich diesen Vortrag zumindest verstanden.“ Oder aber er nimmt sich selbst zurück: „Meine Eindrücke sind natürlich subjektiv. Sie sind gefärbt von den Empfindungen eines Evangelikalen.“ Selbst mögliche Missverständnisse räumt er dabei ein.

Bei so viel Fairness und Rücksichtnahme befürchtete ich zunächst, dass seine Schilderung des Spannungsfelds ungenau und vage bleibt – schließlich geht es ja keineswegs um Bagatellen, wenn vom Verständnis der Bibel, der Bedeutung des Kreuzes und der Einzigartigkeit von Jesus Christus die Rede ist. Aber wenn’s drauf ankommt, zeigt Till durchaus klare Kante, doch auch das in einem fairen und vor allem sachbezogenen Stil. Persönliche Angriffe und Diffamierungen findet man bei ihm nicht.

Markus Till ist promovierter Biologe, und (ich gestehe) beim Lesen seines Buches habe ich manchmal gedacht, wie gut es wäre, käme jetzt ein Theologe zu Wort. Nicht etwa, weil der zu anderen Schlüssen käme, sondern als eher akzeptiertes Gegenüber für eine kritische Leserschaft. Zu oft habe ich gerade von sogenannten Postevangelikalen gehört, Evangelikale könnten nicht theologisch denken, und deshalb verstünden sie letztlich nicht, um was es in der Auseinandersetzung geht. Sogar frühere „evangelikale“ Freunde fallen mir ein, die sich von ihrem „naiven“ Schriftverständnis verabschiedeten, um endlich „intellektuell redlich“ die Bibel zu lesen.

Fazit: Das Buch von Markus Till bietet einen hervorragenden Überblick über das aktuelle Spannungsfeld zwischen evangelikalen und postevangelikalen Christen. Außerdem kann es Lesern und Leserinnen helfen, eigene Positionen zu finden. Und bei allem gilt, was ich so oft in meinem Leben erfahren habe: Wer sich mit seinem (theologischen) „Gegner“ zusammensetzt, lernt zu verstehen, wie er zu seiner Position kam. Auf diese Weise werden falsche Bilder korrigiert, und am Ende bleibt, was beide wirklich voneinander trennt. Dieser Prozess ist durch nichts zu ersetzen.

Peter Strauch

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